Weil viel mehr möglich ist, als wir denken…

Bereichert durch drei Tage intensiven Austausch und vielfältige Impulse, fuhr ich gestern Abend nach Hause. An der Akademie der Bildenden Künste in München hatten sich Fachwissenschaftler und Praktiker aus ganz Deutschland getroffen, um auf dem Kongress doko18 über Kunst – Geschichte – Unterricht nachzudenken.

Weil viel mehr möglich ist, als wir denken...

Mit meinem Kollegen Tobias Loemke leitete ich die Sektion „Diversität und Inklusion“. In vier Zeitfenstern tauschten wir uns, unterstützt von einem Team aus unterschiedlichen ReferentInnen mit unseren SektionsteilnehmerInnen, über die vielfältigen Möglichkeiten der Kunst und des Kunstunterrichts aus, den Umgang mit Diversität als Chance zu sehen.

Bei allen Exklusionsmechanismen, die im Feld der Kunst wie in anderen gesellschaftlichen Systemen nach wie vor aktiv sind, geht es doch im Kern um individuelle Weltsichten, um Weltenvielfalt und Freiheit zum Anders-Sein. Diese Potenziale der Kunst, im wertfreien Nebeneinander diverser Weltentwürfe mehr Miteinander zu erreichen, nahmen wir aus unterschiedlichen Richtungen in den Blick.

Wir sprachen über limitierende Normalitätsvorstellungen und über Wege, jene Grenzen im Kopf etwa durch Professionalisierung der LeherInnen-Bildung zu bewegen. Möglichkeitsräume öffnen sich dann, wenn eine Haltung geschaffen ist, die potenzielle Lösungen anvisiert, statt sich an Problemen festzufressen. Pilotprojekte aus Schule und Hochschule zeigen, dass ein gutes Rezept gegen Berührungsängste, Befürchtungen und wenn-und-aber-Barrieren „einfach Tun“ sein kann. Freilich gepaart mit der Bereitschaft, Momente des Scheiterns immer neu als Impuls der Neuausrichtung aufzugreifen und zu reflektieren.

Weil viel mehr möglich ist, als wir denken...
Ausstellungsansicht mit Zeichnungen von Günter Neupel in der ADBK München

Der unschätzbare Wert künstlerischen Gestaltens für das Menschsein blitzte an vielen Stellen auf. In einem wunderbaren Plenumsvortrag beschrieb der Kunstwissenschaftler Horst Bredekamp anhand zahlreicher sprechender Beispiele das genuin menschliche Bedürfnis, Welt zu gestalten, um sich mit dem Leben und dem Lebendigen zu verbinden. Auf anderer Ebene sprach unser Gast, der Künstler Günter Neupel Ähnliches aus, indem er auf die Frage, was das Malen von Bildern und Schreiben von Gedichten ihm bedeute, antwortete: „das Malen erdet mich“.

Weil viel mehr möglich ist, als wir denken...
Ausstellungsansicht mit Aquarellen von Günter Neupel in der ADBK München

Mit der Outsider-Art können wir auch im Kontext von Schule und Bildung ein Feld betreten, das auf genussvolle und zugleich äußerst dichte Art für die Ideen und Weltsichten von Menschen an den Grenzen unserer Normvorstellungen sensibilisiert. Jenseits von Defizitzuschreibungen und Stigmatisierungen, wurden wir durch Einblicke in das Werk sogenannter Outsider-Künstler inspiriert und zugleich aufgefordert, Kategorien und Systeme zu überdenken. Eine unbeschwerte, interessierte Annäherung an den Anderen und das Andere ist auch dann, ja vielleicht gerade dann möglich, wenn wir nicht versuchen, das was uns fremd ist letztendlich zu erklären und zu ergründen. Viktor Frankl schlug einmal sinngemäß vor, sich immer wieder am Fremden wach halten zu lassen. Das könnte vielleicht auch ein handlungsleitendes Moment sein, wenn es um den Umgang mit Heterogenität geht.

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